#1 23-06-2015 15:25:13

Arnie
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Wie könnte eine Heilung aussehen und woran scheiterts?

Hallo Leidensgenossen,

mein beidseitiger Tinnitus, ausgelöst durch leider den lautesten erhältlichen Silvesterböller, der mir direkt vor der Nase hochgegangen ist, ist nun fast 15 Jahre alt und durch Unachtsamkeit/persönliche Dummheit hat er sich im Lauf der Jahre zweimal verschlimmert. Mit dem Ursprungszustand hatte ich mich gut abgefunden, aber seit einem halben Jahr ist es so schlimm, dass ich mich jedes Mal nach dem Aufwachen frage, wie ich den Tag überstehen soll.

Momentan ist meine einzige Hoffnung, darauf zu vertrauen, dass es irgendwann eine Heilung dafür geben wird und ich wenigstens noch ein paar unbeschwerte Jahre erlebe. - Was meint Ihr, wird es in den nächsten 20 Jahren eine Heilung geben?

Tinnitus soll viele Ursachen haben und selbst nicht betroffene Ärzte erwecken häufig den Eindruck, die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben und reden mit vollkommener Überzeugung gegen meine eigene Erfahrung an. So sollen die störenden Geräusche nicht im Innenohr, sondern im Gehirn entstehen, weshalb nicht das Innenohr, sondern die Wahrnehmung bzw. die Signalverarbeitung behandelt werden soll und wohl auch die Forschung eher in diese Richtung geht. Ist mein Eindruck, vielleicht ist der auch falsch.
Selbstverständlich werden die Ohrgeräusche im Hirn "erzeugt", da es ja für die Interpretation und Umsetzung der Signale aus dem Innenohr verantwortlich ist, aber der Ursprung liegt meiner Meinung nach doch eindeutig im geschädigten Innenohr, das fehlerhafte Signale liefert; Haarzellen defekt -> Tinnitus. Von daher halte ich den Ansatz, die Lösung im Hirn zu suchen, für schwachsinnig. Man sollte das Übel lieber bei der Wurzel packen und dessen Ursprung (eben die beschädigten Haarzellen) behandeln.

Wie könnte das realistischerweise möglich sein?

Die Haarzellen sind nun mal unglaublich klein, sodass man wohl kaum einzelne Zellen "reparieren" kann.
Neue Haarzellen durch Stammzelltherapie wachsen zu lassen, halte ich für fragwürdig, da einerseits nichts sichergestellt ist, dass die neuen Zellen genau an der vorgesehenen Stelle wachsen und die angedachte Funktion übernehmen, andererseits weiß ich nicht, ob das alleine ausreichen würde, da zwar neue Haarzellen nachwachsen würden, aber alte abgebrochene "Trümmer" weiterhin im Ohr umhertreiben und ggf. weiteren Schaden anrichten würden.

[Zwischenfrage: Ist das eigentlich wirklich so, dass abgebrochene Haarzellen für immer und ewig im Innenohr umhertreiben, weil sie von der dort vorhandenen Flüssigkeit konserviert werden, und ggf. weiteren Schaden anrichten können (Flimmerhärchenhypothese von knalltrauma.ch)?]

Die sauberste Alternative wäre wohl, ein komplettes Innenohr im Labor zu züchten und dann zu transplantieren. - Forscher lassen doch bereits Herzen und Lungen im Labor wachsen, auch wenn bisher noch keine derartigen Organe beim Mensch transplantiert wurden. Was spräche also dagegen, das mit einem Innenohr zu machen? Ist es zu komplex aufgebaut? Würde die Anbindung an den Blutkreislauf oder den Hörnerv Probleme verursachen? Mit Stammzellen ist es ja scheinbar möglich, Nerven in mehr oder weniger begrenztem Maße wieder zusammenwachsen zu lassen. Beim Ohr könnte ich mir das eher vorstellen als bei Rückenmarksverletzungen.

Oder ist das alles aussichtslos und man darf zumindest darauf hoffen, dass die Technik derart große Sprünge macht, dass ein Cochlea-Implantat in absehbarer Zeit ein ebenbürtiger Ersatz wird? Momentan können die ja noch lange nicht mit einem geschädigten Gehör mithalten, aber das kann ja noch werden...
Das wäre natürlich nur ein schwacher Trost. Ich bin zwar davon überzeugt, dass der Tinnitus weg wäre, würde man mir den Hörnerv durchtrennen (auch wenns wohl andere Erfahrungen gibt), aber ein CI bedeutet natürlich erhebliche Einschränkungen, selbst wenn es irgendwann mal besser "klingt".

In 8,5 Stunden ist der Tag überstanden. Juhu... :-(

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#2 24-06-2015 06:33:27

nibold
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Beiträge: 173

Re: Wie könnte eine Heilung aussehen und woran scheiterts?

Hallo Arnie,

auch nach diesem halben Jahr („dass ich mich jedes Mal nach dem Aufwachen frage, wie ich den Tag überstehen soll“) kommen ganz sicher bessere Zeiten. Es gibt nur sehr wenige, die das über einen längeren Zeitraum im nicht kompensierten Zustand zu ertragen haben. Wenn Du allerdings einer von ihnen sein solltest, hättest Du die Arschkarte gezogen. Aber selbst diese gewöhnen sich mit der Zeit daran, leider aber mit einem relativ geringen Verlust von Lebensqualität.

Ob nun innerhalb der nächsten 20 Jahre für jeden Tinnitus erfolgversprechende Therapien entwickelt werden, wage ich zu bezweifeln. Die sensorineurale Variante (also etwa defekte äußere oder innere Haarzellen) mag man noch durch apparative oder medikamentöse/gentechnische Behandlung (etwa durch die sogenannten Notch Blocker) in den Griff bekommen,  aber beim zentralen Tinnitus sehe ich schwarz. Dazu weiß man generell viel zu wenig bezeihungsweise nichts über die Funktionen unserer grauen Zellen im kollektiven Verband. Diese Forschungen kosten eine Menge Geld (Milliarden) und viel Zeit (Jahrzehnte).

Die Größe der Haarzellen spielt übrigens eine untergeordnete Rolle. Man ist heutzutage in der Lage, Informationen subatomar zu speichern und auszulesen, eine Zelle ist dagegen um einiges größer. Da wird es doch wohl in absehbarer Zeit möglich sein, geeignete Wirkstoffe mit kontrollierter Dosierung gezielt an die entsprechenden Stellen der Cochlea zu transportieren („Diese kleinstformatigen Roboter können einzelne Zellen transportieren, Krebszellen und Gewebe durchbohren, sich in Blutproben in „lab-on-a-chip“ Vorrichtungen fortbewegen.“)

Die Stammzellentherapie hat z.Zt. den erheblichen Nachteil, dass sie unter Umständen ein unkontrolliertes Zellwachstum auslösen könnte. Da gibt es – neben der grundsätzlichen Frage, ob dieses Verfahren für dieses Problem überhaupt geeignet ist - noch viel klären.

Defekte Haarzellen werden ähnlich wie abgestorbene Zellen im Glaskörper mit der Zeit zersetzt und ausgeschwemmt.

Durchtrennung des Hörnervs bringt nichts. (http://forum.mytinnitus.de/en/viewtopic … 10&p=5) #47

Beitrag geändert von nibold (24-06-2015 06:35:05)

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#3 24-06-2015 07:52:21

Sternenflotte
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Re: Wie könnte eine Heilung aussehen und woran scheiterts?

wollte ich grade schreiben, das sich sogar Menschen den Hörnerv durchtrennen ließen, und trotzdem Tinni danach hatten wie vorher.


--- Tinni seit Okt 2010 ---

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#4 28-06-2015 22:01:01

Wolfgang135
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Beiträge: 87

Re: Wie könnte eine Heilung aussehen und woran scheiterts?

Arnie schrieb:

und durch Unachtsamkeit/persönliche Dummheit hat er sich im Lauf der Jahre zweimal verschlimmert.

Kannst Du die "Dummheit" schildern?

Momentan ist meine einzige Hoffnung, darauf zu vertrauen, dass es irgendwann eine Heilung dafür geben wird und ich wenigstens noch ein paar unbeschwerte Jahre erlebe. - Was meint Ihr, wird es in den nächsten 20 Jahren eine Heilung geben?

Ich hoffe ...

Allerdings: Ist es nicht ziemlich egal, WO eine Heilung oder Linderung ansetzt? Mir wäre es einerlei, ob nun irgendwas im Gehör repariert wird oder irgendwas im Hirn.

Insofern sehe ich die Systematik des Tinnitus so, dass sie zwar im Innenohr ihren Auslöser hat oder hatte, aber das Geräusch im Hirn "passiert".

Andere mit "kaputtem Gehör" sind "nur" taub.

Nur eine Vermutung: Kann es sein, dass Du mit der Wiederherstellung der kaputten Zellen im Gehör einen Zustand "vor dem Silvesterböller" anstrebst? (Was mehr wäre, als nur den Tinnitus los zu sein)


Man sollte das Übel lieber bei der Wurzel packen und dessen Ursprung (eben die beschädigten Haarzellen) behandeln.

Was wäre, wenn man ein repariertes Gehör hätte, die Regelkreise im Hirn aber weiterhin verrückt spielen?

Gerade das ist doch gar nicht so unwahrscheinlich, wenn man sich betrachtet, dass eben der Tinnitus auch bei Durchtrennung der Hörnerven bestehen bleibt. Dabei wird das "Kaputte" abgetrennt, also sollte "sendet" da nichts mehr falsche Signale (was ein intaktes Innenohr auch nicht täte).


Tinnitus - Eine Krankheitsdeutung: http://tinnitus-psyche.jimdo.com/

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#5 30-06-2015 13:03:24

Arnie
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Beiträge: 16

Re: Wie könnte eine Heilung aussehen und woran scheiterts?

Danke für Eure Antworten! Das lässt ja doch teilweise hoffen, dass es mal eine Möglichkeit geben könnte, im Innenohr etwas zu reparieren, auch wenn das wohl noch ferne Zukunftsmusik ist.

Wolfgang135 schrieb:

Kannst Du die "Dummheit" schildern?

Nach über 10 Jahren habe ich den Tinnitus kaum noch wahrgenommen. In ruhigen Umgebungen war er weg, hat sich nur ab und zu mal gemeldet, wenns lauter wurde, ist dann aber auch bald wieder abgeklungen. An manchen Tagen war ich geräuschempfindlich, die meiste Zeit über aber nicht. Allerdings war da natürlich schon immer so ein Gefühl, dass in meinen Ohren irgendwas beschädigt ist, auch wenn ich kein störendes Geräusch mehr vernommen habe.
Auf meine Ohren habe ich seit dem Knall gut geachtet, immer geschützt, wenn es mal zu laut wurde. Aber nach 13 Jahren ist es mir dann halt doch mal passiert.
Private Probleme (in Anbetracht des Tinnitus völlig unerheblich) mit einer (Ex-)Freundin, haben mich dazu veranlasst, mal abzuschalten und in eine Lokalität mit Akohol und lauter Musik zu gehn. So laut war die am Anfang nicht. Es war halt einfach schön, mal wieder normal genießen zu können, also blieben die Ohrenstöpsel in der Tasche. Das waren maximal drei Stunden bei einer Lautstärke, die subjektiv nicht an eine Disco heranreicht. Danach hatte ich aber auf beiden Ohren wieder ein hochfrequentes Pfeifen und eine leichte Geräusch empfindlichkeit. Nun ja, es war nicht so dramatisch, wenn auch unglaublich dämlich und ärgerlich, aber ich konnte mich daran gewöhnen. Monate später habe ich dann mal niedrig dosiertes Cortison geschluckt und es hat sofort geholfen. Bereits am ersten Tag der Einnahme war die Geräuschempfindlichkeit wesentlich schwächer. Ich weiß nicht, ob das ein Placeboeffekt war, aber Placebos fühlen/hören sich normalerweise nicht so gut an...

Nach der Erfahrung ist es total dämlich, dass mir vor einem halben Jahr etwas ähnliches passiert ist. Geburtstagsfeier eines Familienmitglieds in einer weit entfernten Stadt und ich habe nicht damit gerechnet (deshalb auch kein Gehörschutz dabei gehabt), dass dort eine Band spielt - und das verdammt laut. Solche Hobbymusiker drehen scheinbar gerne mal die Lautstärke nach oben, ohne auch nur einen Gedanken an die Folgen zu verlieren. Aber auch hier hatte ich wieder mal so ein wahrnehmungs- und bewusstseinsproblem: mir war in dem Moment nicht klar, wie sehr ich mir schade. Es war schön, hat Spaß gemacht, all die Leute mal wieder zu sehen, und schon waren 4-5 Stunden um. Ich bin zwar immer mal wieder für längere Zeit vor die Tür und hatte dann auch ein Pfeifen in den Ohren, aber mich darauf verlassen, dass es wieder abklingt. Von den Lautsprechern hatte ich mich auch so weit wie möglich ferngehalten, aber genutzt hat das scheinbar alles nichts.

Bilanz: ein höllisch lauter Knall in unmittelbarer Kopfnähe + 3 Stunden laute Musik + 4 Stunden laute Musik.

Es soll ja immer noch HNO-Ärzte geben, die felsenfest davon überzeugt sind, dass laute Musik (wenns nicht gerade 6-8 Stunden sind), auch einem Tinnitusgeplagten nicht schadet. Das wäre damit widerlegt. :-(

Wie muss ich mir das denn in meinem Innenohr vorstellen? Sind die Haarzellen einfach angeschlagen/beschädigt und können sich nicht mehr regenerieren? Mein letzter HNO-Arzt war der Meinung, dass Haarzellen entweder kaputt sind oder sich wieder erholen; einen Zustand dazwischen gäbe es nicht. Aber wieso bin ich dann so empfindlich und hol mir mit jedem lauten Ereignis einen neuen Gehörschaden?

Ach, die beste Aussage eben dieses Arztes war ja, dass meine Innenohren absolut in Ordnung wären. Absolut kein Schaden feststellbar. - Mein Audiogramm (bis 8 kHz) war halt unauffällig. Na toll, als wäre es so eine Herausforderung fürs Ohr, Sinustöne zu hören. Das dürfte so ziemlich die Einfachste Aufgabe sein, die ein Ohr zu bewältigen hat. Nach eigenen Tests fällt die Hörkurve bei mir ab 10 kHz links und ab 12 kHz rechts rapide ab. Zwischen 12 und 20 kHz hör ich dann ab und zu mal wieder Töne.

Diese Geräusche in meinen Ohren liegen demnach wohl auch zwischen 10 und 20 kHz (sicherlich mit einzelnen Ausreißern nach unten) und sind ein komplexes Gemisch aus Pfeifen, Rauschen, Zwischeln, Widerhallen (dieses erste Fiepen im Ohr, wenns neben einem knallt).

Wolfgang135 schrieb:

Nur eine Vermutung: Kann es sein, dass Du mit der Wiederherstellung der kaputten Zellen im Gehör einen Zustand "vor dem Silvesterböller" anstrebst? (Was mehr wäre, als nur den Tinnitus los zu sein)

Ja. Definitiv. Mir wäre es sehr recht, wenn meine Ohren wieder heil wären. Klar wär es schon super, wenn Tinnitus und Empfindlichkeit verschwinden würden, aber dann bliebe ja trotzdem diese scheinbare Anfälligkeit gegenüber lauten Umgebungen, weil die Haarzellen wohl angeschlagen sind.

Kein Mensch weiß doch wirklich, wie Tinnitus entsteht und ich bin halt davon überzeugt, dass meiner weg wäre, wären die Ohren wieder in Ordnung. Immerhin wird er doch auch eingeteilt in die Kategorien Ohr oder Kopf.

Irgendwie hoffe ich darauf, dass in absehbarer Zeit Innenohren im Labor gezüchtet und dann transplantiert werden können...

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#6 30-06-2015 18:35:52

nibold
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Re: Wie könnte eine Heilung aussehen und woran scheiterts?

Ist es nicht ziemlich egal, WO eine Heilung oder Linderung ansetzt? Mir wäre es einerlei, ob nun irgendwas im Gehör repariert wird oder irgendwas im Hirn.

Im Prinzip ist es egal, wenn denn die OP gelingt und ohne negative Folgen ist und bleibt. Persönlich würde ich einer OP im Innenohr unter bestimmten Voraussetzungen zustimmen, einem direkten Eingriff in mein Hirn, wie es etwa auch der [url= https://clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT01988688]DBS[/url] darstellt, hingegen vermutlich nie.   

Was wäre, wenn man ein repariertes Gehör hätte, die Regelkreise im Hirn aber weiterhin verrückt spielen?

Das kann passieren, wenn der Tinnitus nicht auf einen (zusätzlichen) Defekt des Innenohrs zurückzuführen ist und seinen Urspung im „Hirn“ hat (zentraler Tinnitus nach Zenner).

Durch das Einsetzen eines schaltbaren Cochlea-Implantats (CI) konnte in einigen Fällen der Tinnitus nach Belieben ein- und ausgeschaltet werden kann. Das spricht dafür, dass nach der „Reparatur des Gehörs“ auch der Tinnitus verschwindet. Parallelen sind etwa auch beim Phantomschmerz (Schmerzen in amputierten Gliedmaßen oder Organen), der häufig mit dem Tinnitus verglichen wird, zu finden. Führt man hier dem Hirn wieder vernünftige Signale zu, verschwindet der Schmerz. 

Was wäre, wenn man ein repariertes Gehör hätte, die Regelkreise im Hirn aber weiterhin verrückt spielen?

Gerade das ist doch gar nicht so unwahrscheinlich, wenn man sich betrachtet, dass eben der Tinnitus auch bei Durchtrennung der Hörnerven bestehen bleibt. Dabei wird das "Kaputte" abgetrennt, also "sendet" da nichts mehr falsche Signale (was ein intaktes Innenohr auch nicht täte).

Doch. Akustische absolute „Stille“ heißt nicht, dass das korrespondierende elektrische Signal im Corti-Organ ebenfalls Null ist, es hat eine bestimmte Spannung und Frequenz. Bei durchtrennten Hörnerven wird also sehr wohl eine Fehlinformation gesendet.

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