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Liebe Betroffene
Nachdem mein Tinnitus auf ein erträgliches Mass zurückgegangen ist, möchte ich denen die es erwischt hat etwas Mut zusprechen.
Mich hatte es infolge Stress (Schicksalsschläge, gleichzeitig Verschlechterung der Situation am Arbeitsplatz; Grossraumbüros ohne Privatsphäre, Tod von Angehörigen) Ende Dezember 2010 getroffen. Der Druck war einfach viel zu hoch, es gab einfach keine Rückzugsmöglichkeiten mehr. Da kam dann noch ein eingeschriebener Brief mit einer nichtigen Ankündigung über die ich mich aufgeregt hatte, das brachte das Fass zum Überlaufen. Totale nervliche Überreizung. Die Folge:
Hörsturz. 3 Tage partieller Hörverlust und ein lautes Läuten im linken Ohr.
Der Ton war am Anfang wirklich sehr laut, so das ich zum Einschlafen Radio oder Fernseher eingeschaltet lassen musste um überhaupt einschlafen zu können.
Ich ging zum Arzt der mich zum HNO Spezialisten schickte. Dort bekam ich Blutverdünnungsmittel mit dem Hinweis das solche Medikamente nur prophylaktisch gegeben werden und nicht notwendig zur Heiling beitragen müssen. Ich nahm sie aber geholfen hatte es, subjektiv betrachtet, nicht.
Ich habe mir dann Tonstücke gebastelt die in etwa die Frequenz des Tinnitus hatten. Ich experimentierte damit herum. Lautstärke, Frequenz, An- Abschwelllen des Tons usw. Das tat ich weil ich nicht einfach untätig herumsitzen wollte. Ich meine das brachte einen minimen Erfolg. Sicherlich auch als Beschäftigungstherapie von Vorteil. Man hebelt sich etwas aus der Erleider-Position heraus.
Die Taubheit liess innerhalb einer bis zwei Wochen nach. Der Hörtest erbrachte nur noch eine minime Abweichung vom rechten zum linken Ohr.
Das Pfeiffen blieb mir vorerst erhalten.
Während der Arbeit hörte ich häufig einen sehr leisen Sound über einen MP3Player. Mein Lieblingston wurde so ein unaufälliges leises Wasserrauschen. Ich vermute es geht weniger darum den eigenen Ton zu übertönen, sondern eher darum sich auf einen anderen Ton einzustellen. Auf jeden Fall wurde das Pfeiffen nach und nach, sehr, sehr langsam anders. Damit meine ich etwas leiser in der Lautstärke aber auch die Frequenz fing sich an zu verändern.
Ich trug diese Hilfe das erste Jahr über recht oft.
Vor etwa 3 oder 4 Monaten änderte sich der Ton in ein sehr hohes aber auch leises Surren. Tagsüber nahm ich den Ton teilweise gar nicht mehr wahr. Ich verzichtete immer häufiger auf meine Tonhilfe. Sie war nicht mehr unbedingt nötig. Manchmal ist der Ton vorübergehend vollständig verschwunden, auch wenn ich mich extra darauf konzentriere ist er nicht auffindbar. Hin und wieder ändert er auch ganz kurz die Frequenz um dann wieder zu diesem Surren zu werden.
Insgesamt kann ich mit dieser Situation recht gut leben. Die Beeinträchtigung ist noch da aber nur sehr schwach. Ich meine es gibt einen Zusammenhang zwischen dem Mass der Taubheit und der Lautstärke dieses Pfeiffens. Ich vermute sehr das je mehr sich das Gehör (oder was auch immer) sich erholt, umso leiser wird der Ton.
Ansonsten ist es wirklich schwierig die genauen Zusammenhänge zu finden und es wundert mich wenig das die Medizin hier nicht so recht vorwärtskommen mag. Ich persönlich glaube das ein Hörsturz so etwas ähnliches wie ein Nervenzusammenbruch ist. (Mal abgesehen von den Konzertschäden, wobei da ja auch die Nerven strapaziert werden können.)
Ob der Tinnitus vollständig weggeht weiss ich nicht, ich hoffe es. Ich habe mich während dem ersten Jahr von jeglicher stresserzeugenden Situation, so gut es ging, ferngehalten. War viel in der Natur, an Ausstellungen und sowas. Hauptsache kein Stress, kein übermässiger Lärm. Gleichzeitig musste ich meine Einstellung (z.Bsp. im Strassenverkehr) überdenken und nach und nach ändern.
Wie gesagt. Am Anfang ist dieses Leiden wirklich beträchtlich. Man fragt sich wie man damit leben kann und mein Arzt hatte mir gesagt das es Menschen gibt die deswegen ihrem Leben ein Ende setzen. Die gute Nachricht aber, die Störung geht nach und nach zurück, so dass man damit leben kann. Gut sogar. Was es braucht ist sehr viel Geduld und etwas Ablenkung, Spaziergänge, ein schönes Wasserrauschen im Kopfhörer oder das Rauschen der Dusche. Es sind viele kleine Dinge die einem durch das erste Jahr hindurch helfen können. Und - es wird besser!
Herzliche Grüsse
Zeitig
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Der Berg
Da musst du noch durch und das musst du noch bewältigen. Jenes noch ausstehen und das noch erledigen. Dann wirst du Zeit haben. Jetzt, bald hast du Zeit und froh kannst du sein das du jenes endlich hinter dir hast. Aber da stellt sich erneut etwas dazwischen. Jetzt musst du da auch noch durch. Aber dann endlich, hoffentlich, hast du dann Zeit. Die Hoffnung schwindet ein klein wenig. Aber es gibt ja diese Lichtblicke. Die lassen hoffen. Auf das Ende deines Tunnels. Das du Zeit hast. Ein leiser Verdacht steigt in dir auf. Egal wie viel du von diesem Berg abträgst, er türmt sich sogleich an einer anderen Ecke wieder auf, ist es nicht so? Es ist als ob der Berg immer gleich gross bleibt, egal was und wie viel du gerade abarbeitest. Egal wie du dich mühst, damit du dann irgendwann Zeit hast für das was du wirklich willst. Was du wirklich willst, das kommt dann schon noch. Zuerst den Berg abtragen, dann das Andere. Du weisst ja, erst die Pflicht, dann das Vergnügen. So geht allmählich die Zeit vorbei die du haben wolltest um das zu tun was du wirklich wolltest. Du wolltest leben. Gleich nach dem du das und das erledigt hattest. Erinnerst du dich?
Zeitig
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Hallo Zeitig,
Willkommen im Forum, und vielen Dank für Deinen ausführlichen Bericht (den sicherlich viele hier gut nachvollziehen können).
Ich wollte hier noch einen Punkt ansprechen, der meiner Meinung nach oft übersehen wird, nämlich, dass viele Leute die Lebensansprüche einfach zu hoch ansetzen, indem Sie als selbstverständlich ansehen, was nicht unbedingt selbstverständlich ist (in diesem Fall ein Hören in HiFi- Qualität ohne irgendwelche Störgeräusche). Und wenn dies plötzlich nicht mehr gegeben ist, sind sie so gekränkt und beleidigt, dass für sie die Welt zusammenbricht. Man muss einfach von seinem 'hohen Ross' herunter, wenn man aus der Erleider-Position heraus will. Und je früher dies gelingt, desto besser.
Thomas
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Hallo Thomas
Danke für Deine Antwort und Ergänzung. Mit „Ansprüchen“ (an sich selbst und denen von Drittpersonen an uns), da sprichst Du sicherlich etwas an das gerne übersehen, respektive überhört wird.
Was mich und mein Gehör betrifft hatte ich quasi „Hi-Fi-Qualität“. Ich bin auch nicht gerade unmusikalisch und dahingehend von „Mutter Natur“ eher verwöhnt.
Ohne jetzt zu sehr in die Welt des psychosomatischen Rätselratens abzutauchen, es ist möglich, (ich spreche da nur im Zusammenhang mit meiner Erfahrung und Überlegungen), das der Hörsturz als Infarkt des Hörens anzeigt das „man etwas nicht mehr hören kann“. Durchaus in doppeltem Sinne. Nämlich erstens das man es (etwas, andere, sich selbst?) nicht hören kann und/oder das man es auch nicht erhören will. Das man vielleicht bei Ansprüchen oder Erwartungen hängenbleibt. zBsp. Dadurch dass an idealistisch gefärbten Positionen festgehalten wird die sich eigentlich längst nicht mehr aufrechterhalten oder durchsetzen lassen, eine Lebenssituation auf Dauer unerträglich wird.
Mir kam es damals schon so vor wie wenn das Gehör einfach „dicht“ macht. Also eher ein seelisches- nervliches Ungleichgewicht dahintersteht als ein mechanisches Problem. Es ist naheliegend den plötzlichen Ton als Alarmsignal (Läuten) zu verstehen oder als Abbrechen einer Verbindung an deren Stelle dann nur noch ein sinnloses Pfeifen anliegt. Ich sag mal, „irgendwas“ (das Nervensystem?) muss dann lernen das dort nichts mehr ist und das geht nicht von heute auf morgen. (Tinnitus als „Phantomschmerz“). Deswegen ist der Aufruf zur Geduld, obschon in unserer gehetzten „24/7“-Zeit nicht gerade populär, sicher nicht ganz falsch. Wir sind uns einfach zu sehr gewöhnt das es gegen alles eine Pille gibt die umgehend hilft damit wir funktionieren, Schritt halten können. Gut möglich dass die Betroffenen (Hörsturz/Tinnitus) in den nächsten 10-20 Jahren tendenziell jünger werden.
Ich sehe meine Tinnitus-Bescherung also nicht nur als persönliches Leiden an, sondern durchaus auch eine gesellschaftliche Komponente darin.
Freundliche Grüsse
Zeitig
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Hallo zeitig,
ich finde deine Gedanken sehr interessant und deine Vorgehensweise gegen den Tinnitus sehr sinnvoll. Dass es sich bei dem Tinnitus um ein nervliches Problem handelt, habe ich mir auch schon überlegt - schön, dass du das auch so siehst. Ich habe allerdings nicht so ein einschneidendes Ereignis wie du erlebt, sondern der Tinnitus wurde bei mir allmählich immer störender. Ich werde deine Methode mit der Musik aber mal ausprobieren! Danke für diese Idee.
Grüße,
neo12
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Hallo neo12
Noch ein paar technische Anhaltspunkte.
Bei mir wurde beim ersten (und einzigen) Hörtest ein T-Tonfrequenz um die 8500 Hz festgehalten.
Bei meinem (Freeware; Win,Linux) Tonprogramm entsprach das mit meinem Equipment zwischen 11000 und 12000 Hz. Mit diesem Programm kann ein Sinus mit beliebiger Frequenz generiert werden. Meine Idee, den T-Ton dachte ich mir wie in einer festgefahrenen Bahn. Diese Bahn wollte ich stören, d.h. den Ton von dieser Bahn ablenken. Dazu, meine Überlegung, muss der Ton zunächst dort abgeholt werden wo er ist um ihn dann zu beeinflussen, so dass er diese Frequenz verlässt.
Ich experimentierte zuerst mit einer Absenkung der Freq. Dann mit einem Heraufschieben der Freq. Da ich den Eindruck gewann dass der Ton eher dazu neigte sich in höhere Bereiche zu verschieben, arbeitete ich in diese Richtung. Ich kann aber definitiv nicht sagen ob das nun an meiner Selbstbehandlung lag oder ob er sich auch von alleine dahin bewegt hätte. Dazu fehlt es an Vergleichsmöglichkeiten.
Ich meine das die verbreiteten „white noise, pink noise, brown noise“ Geräusche, (weisses Rauschen etc.) auch in die Richtung „Störung der festgefahrenen Bahn“ zielen. Wenn man länger einem solchen Rauschen zuhört, lässt sich eine Veränderung beobachten.
In meinem Fall liess ich die „T-Grundfreq.“ über Kopfhörer zuerst eine gewisse Zeit mitlaufen und erniedrigte, bzw. erhöhte dann die Frequenz um die festgefahrene „T-Grundfreq.“ wegzuführen. Diesen Vorgang wiederholte ich jeweils mehrere mal . Man muss sich da aber auf sein eigenes Empfinden verlassen. Nach ein paar Monaten brauchte ich nur noch ein Rauschen. Da das Geräusch der laufenden Dusche oft lindernd gewirkt hatte, entschied ich mich für ein Wasserrauschen. Das hat auch noch eine beruhigende Wirkung.
Thomas hat bei seiner eigenen Tinnitus-Fallerläuterung zu Recht darauf hingewiesen das man sich nicht an einer „Theorie“ festbeissen sollte. Ich sehe das als einen generellen Hinweis. Wenn etwas im Einzelfall zu helfen scheint, dann kann man diese Richtung beibehalten. Das muss aber nicht heissen dass man nun den „Königsweg“ gefunden hat. Eine Richtungskorrektur muss möglich sein und bleiben. Man sollte nicht auf jede Veränderung hin in einen Jubel ausbrechen. Es wird Rückschläge geben. Wichtiger ist nicht aufzugeben. Hilft das nicht, hilft etwas anderes. Hilft etwas anderes zu diesem Zeitpunkt nicht, dann heisst das vielleicht nur, gerade jetzt hilft es nicht.
Beim Freeware Programm handelt es sich um Audacity Portable.
Beim Kopfhörer habe ich auf eine natürliche Wiedergabe geachtet, sowie auf gute „Abbildung“ im hohen Frequenzbereich. Ich verwendete halboffene als auch qualitativ hochstehende „Stöpselohrhörer“. (Hierzu mache ich keine Herstellerangaben, könnte als Werbung interpretiert werden.) Thomas wird mir da wahrscheinlich widersprechen, aber ich habe bei den Stöpseln keine negativen Erfahrungen gemacht. Man muss aber mit der Lautstärke vorsichtig sein. Wenn es eine Verschlechterung bewirkt, aufhören.
Zeitig
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Hallo zeitig,
danke nochmal für diese Ergänzung. Naja, ich habe mich in der Tat schon an ein paar Theorien festgebissen, jedoch ohne Erfolg. Aber ich möchte einfach mal alles ausprobieren und deshalb werde ich deinen Musikvorschlag jetzt in Angriff nehmen^^! Das mit dem Tonprogramm behalte ich im Hinterkopf.
Bis die Tage,
neo12
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Zurzeit bin ich bei einem Heilpraktiker in Behandlung. Der gab mir jetzt den Tipp, einen Entspannungskurs zu besuchen, um gerade Abends zur Ruhe zu kommen. Werde es mal ausprobieren! Diesen Tipp einfach mal an Euch.
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