#1 12-09-2011 22:07:55

Chron
Mitglied
Registriert: 12-09-2011
Beiträge: 1

Erfahrungsbericht

Hallo Zusammen,

nachdem diese Seite hier, und ich meine speziell den Ersteller des Erfahrungsberichtes auf der Frontpage, das einzige von den ganzen deprimierten Foren war, das mir Hoffnung schenkte, dachte ich mir das es an der Zeit ist, noch etwas Zuversicht zu schenken.

Ich habe seit ca. 10 Jahren einen Tinnitus. War damals einfach Sonntags von ganz alleine aufgetaucht. Ich weis noch, das ich Ihn damals relativ schlimm fand. Ein Pfeiffton in der Mitte vom Kopf. Damals sofort zum HNO. Dort bekam ich die Diagnose Tinnitus und 2 Wochen Infusion. Davon ist er auch etwas leiser geworden, denke ich zumindest. Nach einem weiteren Monat hatte ich mich daran gewöhnt. Ihn kaum noch wargenommen. Nach 10 Jahren war er praktisch nicht mehr existent. Ich musste schon Nachts im Bett denken "wo ist eigentlich mein Tinnitus?" dann hab ich ihn wieder gehört. Also extrem gut "kompensiert" wie die HNO´s so sagen smile

Vor ca. 1,5 Monaten hat sich langsam etwas verändert, aber nicht zum positiven.....

Innerhalb von ein paar Wochen bin ich alle paar Nächte aufgewacht mit einem rauschen und pfeiffen im Ohr, als ob neben mir ein Düsenjäger landen würde. Ich denke das ist maximal "leicht" übertrieben. Zum Teil war es wirklich Ohrenbetäubend. Ich tat das ganze damals als ein "was ist denn da los, schnell weiterschlafen......" ab. Am nächsten morgen war alles wieder gut, ich nahm nichts ungewöhnliches mehr wahr.
Irgendwann merkte ich, das sich die lautstärke meines "kompensierten" Tinnitus verstärkt hatte. Dann wurde ich nachdenklich. Vorsichtshalber bin ich gleich am kommenden Montag zu HNO. In der schalldichten Kammer für den Hörtest merkte ich erst, wie laut er inzwischen war. Der Arzt untersuchte mich, erklärte mir das alles gut sei, er sich auch nicht erklären könne, warum "er" lauter geworden ist und hat mir angeboten eine Kortisontherapie zu machen da es hier wohl noch die besten Behandlungserfolge geben solle. Hier erfuhr ich auch, daß die HAES-Infusionen die ich noch vom letzten Mal kannte, inzwischen nicht mehr von der KK bezahlt werden.
Ich entschied mich für Kortison ohne Infus.

Aber irgendwie wurde alles nur schlechter statt besser. Der Ton wurde von Tag zu Tag lauter. Inzwischen nahm ich Ihn wirklich immer und überall wahr. Hinzu kam, das ich, bedingt durch das Kortison, auch noch anfing mich unwohl zu fühlen. Ich bekam Herzklopfen, einen ganz schön roten Kopf und fühlte mich ziemlich schlaff. Also noch mal zum HNO. Daraufhin, ich bekam null Empfehlungen was Sinn machen würde, nur Optionen aufgezeigt, entschied Ich mich, daß Kortison aubzusetzen und auf Infus um zu steigen (hatte ja schon mal geholfen). Nebenwirkungen des Kortisons ließen nach ein paar Tagen nach, trotzdem wurde es langsam immer schlimmer.

Inzwischen fing ich an, panisch zu werden. Der Ton wurde eine richtige Belastung. Ich hörte Ihn immer und überall. Bekam richtig Angst vor stillen Räumen. Die Infusionen bekam ich seit 3 Tagen. Dann sprach ich nochmals mit meinem HNO - der Arzt war echt keine Stütze. Ich fühlte mich total hilflos und ausgeliefert. In meiner Not wandte ich mich an das Internet, mit dem Ergebniss, das ich noch deprimierter wurde. Nur grausige Horrorgeschichten.

Inzwischen war auch an arbeiten nicht mehr zu denken. Ich konnte mich auf nichts mehr konzentrieren. Sobald ich ein Telefon am Ohr hatte, war währenddessen und auch danach der Ton so unerträglich laut und vor allem auch sehr scharf das ich am liebsten weggelaufen wär, aber wohin???? Also habe ich mich erst einmal krank schreiben lassen und versucht die anderen naheliegenden Ärztegruppen, also Zahnarzt und Orthopäde ab zu klären. Da ich seit ein paar Jahren hin und wieder mal Probleme mit der Halswirbelsäule hatte (ab und zu einen steifen Nacken und ziehen in der linken Schulter) war der Orthopäde mein erster Anlaufpartner. Der Besuch war genauso Horror wie erfolglos.
Schon auf der Hinfahrt habe ich kaum die S-Bahn ertragen (das Pfeiffen ist meinem einfach zu ähnlich) im Wartezimmer plötzlich alle möglichen Arten von elektrischen Geräten wahrgenommen.... Der Arzt hat geröntgt, meinte es sein alles gut, gab mir aber die Adresse eines Halswirbelspezialisten. Auf meine Nachfrage, ob er mir etwa zum schlafen verschreiben könnte, bekam ich auch etwas. Dazu später mehr. Wieder zu Hause bin ich bald die Wände hoch. Ich war nervlich total am Ende. Ich erkannte mich selber nicht mehr. All mein Selbstvertrauen, mein Mut, meine Zuversicht, wie weggewischt. Als ob ich mich 180° in die andere Richtung gedreht hätte, und das alles innerhalb weniger Tage.
Die vermeintlichen Schlafunterstützer entpuppten sich als Downer. Dies hielf zwar 2 Nächte extrem beim ein- und durchschlafen, plötzlich hatte ich aber zudem noch ausgewachsene Angstzustände. Kaum bin ich allen vor die Tür hatte ich kalten Schweiss, Gänsehaut und das Pfeifen wurde immer schärfer und lauter. Nach dem Studium der Pakungsbeilage wurde mir auch klar woher das kam. Alles sofort abgesetzt. Überhaupt nahm ich inzwischen eigentlich gar nichts mehr. Auch kein Kortison und kein HAES.

Inzwischen hatte ich Angst arbeitsunfähig zu werden. Ich seh kein Land mehr.

Der erste Hoffnungschimmer tauchte auf, als ich zum Zahnarzt ging. Dieser merkte sofort, das ich Schleiff oder Beissspuren am meinen Zähnen aufwies und führte auch meinen Tinnitus, mangels Alternativdiagnose, darauf zurück. Er riet mir dringend sofort Urlaub zu nehmen oder mich länger krank schreiben zu lassen um den Zustand nicht weiter zu verschlimmern. Er fertigte eine Knirscherschiene mit dem Hinweis, das viele Patieneten damit zusammen mit konsequenter Stressreduktion damit Erfolge haben.

Und plötzlich wurde mir klar, was ich in den letzte 2 Jahren alles hinter mir hatte: langjährige Beziehung zerbrochen, mein Dad an Krebs gestorben, Umzug, Renovierung und immer nebenher gearbeitet, nie wirklich Urlaub gemacht, nie wirklich längere Zeit entspannt. Bekanntlich braucht man bei entsprechender Anspannung ja einige Tage, bis die Erholung überhaupt erst anfängt einzusetzen. Auch beruflich war ich immer unter Druck: Ich liebe meinen Beruf, arbeite als Entwickler und Teamleiter in der Automobilindustrie. Aber seit einem halben Jahr übernahm ich, zu den schon genannten privaten Katastrophen auch noch ein neues Projekt mit mindestens dem doppelten Anspannungsgrad und Zeitaufwand. Ich war wirklich nur noch am arbeite. Fast Tag und Nacht. All dies fiel mir aber erst durch die Diagnose des Zahnarztes auf. Ich merkte natürlich schon vorher, das der Akku eigentlich schon lange, sehr lange leer ist. Aber ich sagte mir immer:"Dieses und jenes MUSS jetzt einfach noch, es geht nicht anders". Aber genau das war der Fehler, nichts muss.....

Natürlich war ich am Anfang superskeptisch, das eine Knirscherschiene und ein wenig Stress weg, den schlimmsten Zustand den ich mir vorstellen kann, mildern würde.
Aber ich wurde konsequent: Sofort an die Krankschreibung 3 Wochen Urlaub angehängt.
Jede Nacht die Schiene getragen. Wenn der Ton sehr nervte, hielf mir die bekannte Paracetamol. Auch um die vor allem am Anfang kreischenden Nerven zu berhuigen schwör ich inzwischen auf Baldrianpastillen. Diese nahm ich die ersten 2 Wochen Tage und Nacht in der von der Apothek empfohlenen Dosis. Kaum waren die Nerven wieder einigermaßen normal, nahm ich auch den Ton weniger wahr. Das Ist tatsächlich schon die halbe Miete. Zusätzlich nehme ich auch seit einem Monat Ginkobil. Ich weis, kann auch alles ein Placebo sein. Aber bei mir scheint tatsächlich etwas geholfen zu haben.

Nach 3 Wochen hatte der Ton nur noch hin und wieder eine etwas schärfere Tonlage.
Aber sobald ich dann ruhig machte, mich einfach auf die Couch legte und Ferseh schaute, was als Ablenkung bestens funktionierte, wurde es wieder leiser. Überhaupt scheint Ablenkung einer der großen Schlüssel zu sein: In den 3 Wochen, davon war ich sogar 7 Tage im Ausland per Flugzeug!, wurde der Ton ganz langsam immer unbedeutender.

Inzwischen gehe ich auch wieder arbeiten. Hiervor hatte ich am Anfang ganz schön Schiss. Schließlich wurde es hier erst so richtig schlimm. Aber ich bemerkte, das, wenn ich Aufgaben sinnig und etwas überlegter bearbeite, in den Mittagspausen einen kleinen Spaziergang mache, wirklich versuche nach 8 Stunden nach Hause zu gehen und daheim den Laptop aus lasse, die Besserung gaaaaaaaaanz langsam weiter fortschreitet.

Inzwischen, 5 Wochen nachdem es so richtig schlimm wurde, stört mich mein Tinni tagsüber fast gar nicht mehr. Nacht beim einschlafen habe ich mich auch an die "etwas lautere" Stille gewöhnt. Es hat nichts bedrohliches mehr, dadurch habe ich keine Angst mehr davor, selbst wenn er speziell nach dem Aufwachen deutlich hörbar ist. Durch interessante und maßvoll fordernde Arbeit tritt er nach ein paar Stunden so in den Hintergrund, das ich Ihn abends immer öfter völlig vergesse smile und das schon nach 5 Wochen! Ich hoffe ich kann euch in einem halben Jahr berichten, das ich nur noch 1 Mal im Monat daran denke. Aber inzwischen bin ich Zuversichtlich.

Ich wünsch allen, die über dieses Forum und meinen Post stolpern, viel Glück, Durchhaltevermögen und vor allem gaanz viel Geduld. Wenn er wieder verschwindet oder zumindest nicht mehr stört müsst Ihr euch zuallererst damit aarangieren. Dann verschwindet die Schärfe und die Nerven beruhigen sich auch wieder (Baldrian!!!).
Dann stehen die Chancen gut.

smile

Chron

Offline

 

#2 13-09-2011 00:54:47

tinnitus-info
Mitglied
Registriert: 12-09-2011
Beiträge: 10
Web-Seite

Re: Erfahrungsbericht

Hallo Chron,

Angst, Panik, Rote Kopf, usw. sind alles Symptome die offensichlich auf eine Wechselwirkung zwischen Köper und Geist hinweisen.

Denke mal nach, ob es in dieser "heissen" Phase deines Tinnitus Situationen gab, in denen du Gefühle, die dir nicht gefielen oder die du dir nicht eingestehen wolltest, unterdrücken musstes.

Mehr zum Thema "Tinnitus als Ablenkungsreaktion von unbewusst unterdrückten Gefühlen":
http://tinnitus-info.beepworld.de/index.htm

Grüße

Offline

 

#3 14-09-2011 18:01:13

CrawltoChina
Mitglied
Registriert: 14-05-2011
Beiträge: 49

Re: Erfahrungsbericht

Hi Chron,

vielen Dank für Deinen Bericht! Mir ging es ein wenig ähnlich wie Dir. Ich hatte 5 Jahre lang einen leisen Tinnitus, den ich wirklich nur im Bett wahrgenommen habe. Dann wurde nach einem Umzug, viel Stress auf der Arbeit und einer Weisheitszahn-OP plötzlich alles sehr laut und schlimm. Wobei bei mir das lauter werden des T eher langsam ging, seit März dieses Jahres. Ich hab aber schon - aufgrund des ganzen Stresses - auf die langsame Verschlimmerung sehr heftig reagiert, mich rein gesteigert. Dann wurd es schlimmer. Leider hab ich dann noch eine Behandlung mit Kortison-Spritzen direkt ins Mittelohr gemacht. Daraufhin hat eine Frequenzverschiebung (Ton wurde höher) und eine nochmalige Verschlimmerung stattgefunden. Erstmal bin ich völlig zusammengesackt, konnte nicht mehr arbeiten und hab mich schlussendlich sogar in eine psychsomatische Klinik einweisen lassen. Viele Panikattacken, Tränen und Verzweiflungstage später gehe ich wieder arbeiten mit reduzierter Stundenzahl, höhe das Rauschen aber auch im Büro oder beim Autofahren. Ich steigere mich nicht mehr rein, das Bedrohliche ist verschwunden, so wie Du es beschreibst. Ich achte auf mich, versuche mich regelmäßig zu entspannen. Und bin eigentlich auch zuversichtlich... Es gibt immer noch Tage, da bricht alles ein und die Angst kommt zurück. Aber es geht insgesamt aufwärts.
Am meisten stört mich, dass ich nicht mehr ohne Ohrenstöpsel Autobahn fahren kann, da ansonsten der Tinnitus danach unheimlich laut ist. Stadtverkehr geht so gerade, aber Autobahn nicht mehr.
Naja, ich hoffe, auch das wird irgendwann besser.

Viele Grüße,
und nie die Hoffnung aufgeben smile

Offline

 

#4 17-09-2011 14:13:53

Pitzamo
Mitglied
Registriert: 23-02-2011
Beiträge: 56

Re: Erfahrungsbericht

Danke für den tollen Bericht, Chron. Ich glaube, es können hier einige nachempfinden, wie es Dir ergangen ist.

Offline

 

#5 13-02-2012 10:33:21

eriza
Mitglied
Registriert: 10-02-2012
Beiträge: 5

Re: Erfahrungsbericht

Wow das habe ich wirklich alles mit Interesse gelesen! Ich finde es toll wie du damit umgehst und bin auch schon sehr auf den nächsten Bericht gespannt. Man lernt damit zu leben, wie du so schön sagst... Ich hab manchmal das Gefühl, dass wir Menschen mittlerweile nur noch auf Leistung getrimmt werden und dadurch viele Krankheiten auftreten und sich verschlimmern, Burn-Out ist da nur ein beliebtes Schlagwort. Wenn viele Dinge im privaten und beruflichen Bereich aufeinander treffen, dann muss man erst mal gut damit umgehen können! Ich versuche halt zu lernen Dinge auch abzugeben, zB Arbeitsaufgaben auch mal Kollegen zu überlassen, statt immer kochen zu müssen mal das Essen zu bestellen oder wenn ich umziehen muss, ein Umzugsunternehmen beauftragen und mir helfen zu lassen. Ich glaube dadurch kann man sich selbst sehr entlasten.

Beitrag geändert von eriza (14-02-2012 08:21:37)

Offline

 

Brett Fußzeile

Based on PunBB 1.2.19